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Alleine reisen ist Luxus


Das erste Mal alleine unterwegs war ich Anfang 2018. Genauer gesagt habe ich meinen Geburtstag alleine mit Frida in Holland verbracht. Früh morgens bin ich ins Auto gestiegen und ans Meer gefahren, an einen Ort, an dem ich noch nie zuvor war. Nach zwei Stunden kamen wir an, bei traumhaftesten Wetter mit blauem Himmel und strahlendem Sonnenschein und knackigen Minusgraden. Frida lief über eine kleine Dünenkuppe, sah das Meer, drehte sich um, fast als würde sie fragen, ob das jetzt mein Ernst sei, und dann raste sie voller Glück durch den Sand. Und das war wohl der erste Moment, in dem ich zwar alleine war, aber mein Glück durch Frida geteilt wurde. Wir sind den ganzen Tag am Strand entlanggelaufen und anschließend noch in ein Restaurant gegangen. Ich war noch nie zuvor alleine in einem Restaurant essen und fand es bei anderen immer irgendwie traurig. Aber als ich da so alleine saß, fand ich es gar nicht traurig. Abends sind wir wieder heim gefahren. Und ich muss sagen, es war einer der schönsten Geburtstage seit langem.

Danach habe ich dann den Van für meine erste Single-Reise gemietet und bin auf zu drei Wochen Schweden. Anfangs war es ungewohnt, anstrengend, aufregend, aber eines war es nie: Einsam oder traurig. Ja, ich gebe zu, ich habe mich nicht so mutig bewegt, wie ich es vielleicht zu zweit gemacht hätte, aber es war nicht schlimm. Es hat ja keiner mitbekommen. Und ich bin in die Situation hineingewachsen. In meinem eigenen Tempo. Während Schweden habe ich einiges über mich gelernt. Ich hatte Ruhe meinen eigenen Gedanken zuzuhören. Und irgendwie hatte ich auch endlich die Ruhe herauszufinden, wer ich bin, wenn ich nur mit mir bin. Nicht getrieben. Oder beobachtet von anderen. Und Frida urteilt nicht, sie nimmt mich Tag für Tag einfach wie ich bin und ist da. Übrigens eine wunderbare Angewohnheit von Hunden generell. Ich habe die Einsamkeit und das Alleinsein genossen. Allerdings habe ich in Schweden wenig, bzw. gar keinen Anschluss an die anderen Menschen gefunden (was auch in den meisten Fällen an Frida lag, weil in Schweden Hunde so gut wie nirgendwo mitgenommen werden dürfen). Und deshalb habe ich auch nach ca. 2 Wochen in Schweden gemerkt, dass wieder weg muss. Raus aus dem Land. Zurück. Es war ein Minimoment, der aber sehr intensiv war. Und ich konnte einfach entscheiden zu fahren. Ohne Rechtfertigung oder Erklärung. Und es war mein ganz eigenes Problem, dass ich diesen Moment an dem am weit entferntesten Ort meiner Route hatte und dann gucken konnte, wie ich innerhalb von 2 Tagen die über 1.000 km zurück nach Deutschland gefahren bekomme. Die letzte Woche meines Urlaubs hab ich dann auf Fehmarn verbracht. Immer noch allein. Aber unter Menschen. Wenn ich es wollte. Ich konnte anders als in Schweden frei entscheiden, wann ich alleine sein wollte. Oder wann ich eben unter Menschen in einem Restaurant sein wollte.


Seit dem Urlaub war ich unzählige Male alleine unterwegs. Nicht nur, weil ich besagten Van nach dem Trip direkt gekauft habe und er als Rudi jetzt mein Urlaubsbegleiter ist. Sondern auch, weil ich „Blut geleckt“ habe, diese Allein-Auszeiten förmlich brauche. Nicht ohne Grund ist bislang noch nie jemand mit Rudi mitgefahren. Manchmal war es kurz davor, aber im Grunde ist Rudi meine Bubble, mein Kokon, meine eigene kleine heile Welt, in der ich einfach alleine bin. Mit Frida. Ich muss allerdings auch zugeben, dass ich das Alleine-Reisen lediglich in der Kombination mit Frida und Rudi gut finde. Ganz alleine im Van wäre nicht so bereichernd. Denn wenn ich allein mit Frida bin, sehe ich auch Dinge durch sie. Sie zeigt mir Sachen, die ich so ohne ihren unverfälschten, ehrlichen Blick vermutlich auch übersehen hätte. Und dank Rudi bin ich einfach komplett flexibel. Alleine in ein Hotel zu fahren, würde mir im Traum nicht einfallen. Das fände ich wieder einsam. Obwohl es unter Menschen wäre. Seltsam, oder?


Die Zeit alleine lässt meine Akkus auftanken, viel besser als jeder Urlaub es zuvor gekonnt hätte. Ich kann machen, was ich will, sein wer ich in dem Moment will. Es liegt alles in meiner Hand. Die Richtung, in die wir fahren, die Orte, an denen wir stehen. Es interessiert keinen, ob ich den Pulli, in dem ich geschlafen habe, einfach auch den Tag danach und sogar wieder die Nacht darauf anhabe. Ich muss es niemandem erklären. Ich kann einen Song 100000x hintereinander hören und ihn mitsingen. Es interessiert keinen. Wenn ich schon um 17 Uhr Lust auf Abendessen habe, dann mach ich mir etwas oder gehe essen. Eine Tüte Chips zum Abendessen – ok. Um 13 Uhr schon ein Glas Wein – klar doch. Wandern im Regen, obwohl es in 2 Stunden aufhören soll – warum nicht. Ich muss es mit niemandem abstimmen. Kurz: Ich kann absolut egoistisch sein. Ohne Rücksicht auf irgendwen. Und das ist großartig.


Ich bekomme oft ungefragt Mitleid entgegengebracht, wenn ich erzähle, dass ich alleine unterwegs bin. „Oh. Ist das nicht traurig, Du kannst ja Deine Erlebnisse mit niemandem teilen.“ „Fühlst Du Dich nicht einsam?“ „Hast Du denn keine Angst so allein als Frau?“ Nope. Nö. Und nein. Es sind meine Erlebnisse. Ganz allein meine. So wie ich sie eben in dem Moment erlebe. Und wenn ich sie teilen will, gibt die moderne Welt genug Möglichkeiten dazu. Es ist ja nicht so, dass ich ohne Handy unterwegs bin. Ich kann Fotos verschicken, Nachrichten schreiben oder Facetime-Anrufe machen. Mach ich aber meistens gar nicht. Einsam fühle ich mich nicht. Eher frei. Und Angst hatte ich noch nie wirklich. Ja, es war manchmal in der ein oder anderen Situation gruselig. Aber – und damit komme ich wieder zu einem Vorteil des Alleine-Reisens: Ich kann ja einfach gehen oder weiterfahren. Und ich habe immer noch Frida, den kleinen Wachhund, der immer sehr gut auf uns aufpasst.


Und wo ich gerade dabei bin: Durch das Alleine-Reisen habe ich ein unglaublich feines, verlässliches und gutes Bauchgefühl entwickelt. Ich komme mit Rudi an einen Ort und weiß binnen der ersten Minute, ob ich bleiben werde oder nicht. Das Gefühl ist einfach da und ich vertraue darauf. Und ich muss es niemandem erklären, ich kann dann einfach fahren und mir einen Platz suchen, der sich besser anfühlt.


Natürlich gibt es Momente, wo ich mich ganz theatralisch alleine fühle. Zum Beispiel, wenn ich unentschlossen bin und keine Entscheidung treffen kann, weil sich alles doof anfühlt. Und dann stehe ich auch auf einer Raststätte, irgendwo an einer englischen Autobahn und heule. Aber es muss ja dann weitergehen und es ist keiner da, der mir in so Momenten in den Hintern tritt. Und wenn ich dann alleine aus solch einer Situation herausgefunden habe, bin ich am Ende auch immer wieder ein bisschen stolz auf mich. Das Alleine-Reisen hat mich gelehrt, mich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen. Und mir selber zu helfen.

Durch das Alleine-Reisen habe ich mich kennengelernt. Ich weiß, was ich kann und was nicht, was ich mag, was ich liebe, was meine Prioritäten sind. Mein Bauchgefühl ist lauter geworden. Oder ich besser im mir selber Zuhören. In einem Seminar für kooperative Kommunikation, das ich dieses Jahr besucht habe, sprach der Dozent Moritz Küffner von der „Fühligenz“, der Gabe, Momente wahrnehmen zu können, die man von außen nicht sehen oder verstehen kann, die für einen selbst aber absolut klar sind. Und dem Mut, bzw. der eigenen Überzeugung dann auch entsprechende Entscheidungen aus dem Bauch heraus treffen zu können. Kaum jemand der Seminargruppe konnte das Wort Fühligenz und was es bedeutet sofort zu verstehen oder einen eigenen Moment definieren. Ich wusste sofort wovon er spricht.


Das Alleine-Reisen bereichert mich. Es hat lässt mich wachsen. Und mehr in mir ruhen. Es hat mich stärker und selbstbewusster in vielerlei Hinsicht gemacht. Ich weiß besser, wer ich bin. Wer ich sein will. Was ich kann. Was ich brauche und was mir guttut. Ich kann es nur jedem empfehlen.

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